In Folge 26 unseres Podcasts „D wie Digital“ haben wir mit Taze Boyraz über Digitalisierung in der Pflege gesprochen. Hier könnt ihr die Folge nachhören.

DiFü-News: Hallo Taze, schön, dass du da bist. Wir sprechen heute über die Digitalisierung in der Pflege. Wie muss man sich einen typischen Tag auf der Station vorstellen?

Taze Boyraz: Ich bin Krankenschwester in der Psychiatrie. Mein Tag fängt morgens mit der Grundpflege an, das ist die Versorgung von Patient:innen. Danach gibt es die sogenannte Vitalzeichenkontrolle. Einige der Kolleg:innen nehmen Blut ab, das ans Labor geschickt wird. All diese Vorgänge müssen dokumentiert werden, und das erfolgt bei uns zum größten Teil noch im Papierformat.

Schließlich folgt die Morgenrunde, in der wir Patient:innen erklären, was an dem Tag passiert, zum Beispiel, was im Therapieplan ansteht und ob es Veränderungen oder Ausfälle auf der Station gibt. Und dann beginnt die tägliche Visite. Parallel dazu nehmen wir auch neue Patient:innen auf, pflegen, führen Gruppen und haben Teamsitzungen.  Anschließend gibt es erneute Dokumentation und die Übergabe für die nächste Schicht. An manchen Tagen kommen Notfälle oder andere Ereignisse obendrauf, die wir bewältigen müssen.

DiFü-News: Du bist seit über 20 Jahren Krankenschwester. Wie hat sich dein Beruf seitdem verändert?

Taze Boyraz: Ich beginne mal mit dem Thema Digitalisierung: Als ich meine Ausbildung begann, gab es auf den Stationen keine PCs. Wenn es einen gab, dann stand der im Arztzimmer – dort wurden Diagnostik oder Arztbriefe geschrieben. Diese Dokumente wurden an der Pforte ausgedruckt, in den Fächern abgelegt und wir Auszubildenden haben diese Papierstapel dort abgeholt und auf die Station gebracht. Heute können wir direkt auf relevante Informationen in den elektronischen Akten der Patient:innen zugreifen. Deswegen hat sich auch die Dokumentation stark verändert.  Im Vergleich zu anderen Branchen sind wir in der Pflege noch nicht so weit, aber es gibt bereits einzelne Kliniken, die vollständig digital arbeiten.

Über den digitalen Aspekt hinaus haben wir auch eine Veränderung der Bedürfnisse von Patient:innen. Menschen werden älter, mit einer steigenden Lebenserwartung geht auch eine Zunahme von chronischen Krankheiten einher. Wir als Pflegende müssen immer komplexere Aufgaben erledigen. Deswegen muss sich der Beruf mehr akademisieren. Denn im Zuge der Digitalisierung brauchen wir Fachkräfte, die diese Digitalisierung in die Stationen bringen und komplexere Zusammenhänge erkennen, Pflegestandards etablieren und besser koordinieren. An dieser Stelle sage ich immer: Akademisieren, Akademisieren, Akademisieren.

DiFü-News: Lass uns gerne mehr über die Digitalisierung sprechen. Warum wird Digitalisierung in der Pflege denn eigentlich benötigt? Welche Aufgaben kann sie abnehmen oder erleichtern?

Taze Boyraz: Digitalisierung bedeutet für mich in erster Linie eine Effizienzsteigerung. Wichtige Informationen könnte ich dann so ablegen, dass sie auch von anderen eingesehen werden können. Die dadurch gewonnene Zeit und Energie könnte sich positiv auf die Versorgung der Patient:innen auswirken. Wenn ich zum Beispiel digital auf Daten zugreifen kann, muss ich nicht lange Papierakten wälzen, sondern kann ganz einfach die Suchleiste benutzen. So kann ich zeitnah Fragen beantworten, zum Beispiel von Patient:innen, aber auch von anderen medizinischen Stellen. Auch schnelle Videochats wären sehr hilfreich.

Was auch noch denkbar wäre, sind Robotik-Systeme, zum Beispiel Sensoren an Betten, die mit Bewegungsmeldern frühzeitig Alarm schlagen. Das muss ja nicht erst sein, wenn jemand schon am Boden liegt. Denkbar wären auch intelligente Kleidung, die Temperaturen und weitere Parameter messen und direkt in die Systeme eingebracht werden.

DiFü-News: Das klingt nach Zukunftsmusik.

Taze Boyraz: Ja! Für uns ist es wichtig, dass die Dokumentationssysteme vollständig digitalisiert werden und der Austausch durch Videokonferenzen vereinfacht wird. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Terminkoordination auf den Stationen. Dass wir nicht mehr auf gewöhnlichen Kalendern Dinge festhalten, sondern dass wir vernetzte Systeme nutzen.

Künstliche Intelligenz würde uns auch helfen, zum Beispiel bei der komplexen Pflegeplanung. Und was ich mir auch noch wünschen würde, ist, dass unser Planungsboard eine digitale Tafel wäre. Aktuell erledigen wir das noch mit Papier, das wir mit Magneten auf der Tafel befestigen. Praktisch wäre es, wenn die Stations-PCs und diese Tafel miteinander vernetzt wären und dort Änderungen direkt sichtbar wären.

DiFü-News: Wie schult man Pflegekräfte, die unter großen Belastungen stehen, für den Einsatz dieser digitalen Technologien?

Taze Boyraz: Das ist eine wichtige Frage: Wer führt die Schulungen durch? Sind das IT-Kräfte, die den Pflegealltag nicht kennen? Hier wird wieder deutlich, dass es mehr Akademisierung braucht, also Pflegekräfte, die pädagogisches Wissen und IT-Wissen haben. Wir müssen für Fort- und Weiterbildungen Räume schaffen – und eine Atmosphäre, in der Pflegekräfte sich trauen, Fragen zu stellen, wenn sie neue Arbeitsprozesse oder Anwendungen nicht verstehen. Eine Lernbegleitung auf individueller Ebene, auch die Sorgen, die Ängste und die Situation von Pflegepersonal, das kurz vor der Rente steht, all das muss in der Planung berücksichtigt werden.  

Lebenslanges Lernen ist nicht nur in der Pflege zentral. Wie gestalten wir selbstgesteuertes Lernen in Branchen, wo es so viel Arbeit gibt und so wenig Zeit für Fort- und Weiterbildung? Es ist Aufgabe der Geschäftsführung und der Direktion, Räume für das Lernen zu schaffen – und zwar nicht nach dem Nachtdienst, wenn die Konzentration richtig down ist. Wer gute Mitarbeitende haben möchte, muss über digitale Plattformen hinaus Raum zum Austausch geben, etwa in Präsenzveranstaltungen. In der Pflege ist der Spagat schwieriger als in anderen Branchen, das hängt natürlich auch am Fachkräftemangel.

DiFü-News: Welche Potenziale und Risiken könnten denn mit zukünftigen Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung in der Pflege verbunden sein?

Taze Boyraz: Potenziale gibt es viele, zum Beispiel die Effizienzsteigerung in unserer Arbeit. Außerdem haben wir durch den Einsatz von Telepflege eine verbesserte Versorgung von Menschen im ländlichen Raum. Und KI hilft uns dabei, Fehler zu vermeiden. Wenn wir solche Systeme nutzen, erleben wir insgesamt eine Qualitätsverbesserung der Pflege.

DiFü-News: Und welche Risiken siehst du?  

Taze Boyraz: Datenschutz und Datensicherung sind entscheidend. Denn auch Krankenhäuser und Universitäten sind von Cyberkriminalität betroffen. Außerdem dürfen wir bei aller Technik nicht unsere Menschlichkeit verlieren, unsere Empathie und unser kritisches Denken: Dass unsere Arbeit effizient läuft, wir eine tolle Koordination haben, aber am Ende Patient:innen leiden, weil sie keinen einzigen Face-to-Face-Kontakt hatten, das geht nicht. 

Außerdem dürfen wir bei aller Technik nicht unsere Menschlichkeit verlieren, unsere Empathie und unser kritisches Denken.

DiFü-News:Lass uns auch mal über die Rolle der Angehörigen sprechen. Welche Tools gibt es in der Angehörigenpflege, um zum Beispiel den Informationsaustausch zu erleichtern?

Taze Boyraz: Da stehen wir noch ganz am Anfang. Die meisten Gespräche mit Angehörigen finden ganz klassisch statt: E-Mail, Telefon oder im direkten Gespräch. Aber auch hier würde ich mir wünschen, dass es digitale Lösungen gibt.

DiFü-News: Welche Herausforderungen können denn zukünftig bei der Einführung digitaler Technologien in der Angehörigenpflege auftreten?

Taze Boyraz: Auch hier sind Datenschutz und Sicherheit relevant. Auf der Angehörigenseite ist entscheidend, wie gut benutzbar die Systeme oder Tools sind, die für Angehörige eingeführt werden. Eine andere Herausforderung ist, dass die Pflegeeinrichtungen auch die finanzielle Seite berücksichtigen und da Kosten und Nutzen für Angehörige und Patient:innen abwägen müssen.

DiFü-News:  Wie sieht es bei der Einführung digitaler Technologien in der Pflege von Patient:innen aus?

Taze Boyraz: Ähnlich wie bei den Angehörigen: Systemgestaltung und Finanzierung sind zentrale Punkte. Ich denke, dass eine Mischung aus klassischer Versorgung vor Ort und digitalen Lösungen gut funktioniert. Dieser Mix sollte dann individuell angepasst werden. Zum Beispiel wenn ältere Patient:innen gesundheitlich fit sind, aber trotzdem jedes Mal für eine Besprechung in die Klinik kommen. Da könnte man das Gespräch auch einfacher von zu Hause aus führen. Und dort schließt sich der Kreis zu den Themen Datenschutz, Sicherheit und Kosten. Da gibt es am meisten zu tun.

DiFü-News: Danke für das Gespräch, Taze!

Taze Boyraz: Danke!

Artikelbild: National Cancer Institute via unsplash.com