In Folge 24 unseres Podcasts „D wie Digital“ haben wir mit Jeanette Jarke über digitale Spiele gesprochen. Sie ist Referentin bei der Initiative „Zocken, Gamen, Suchten“. Hier könnt ihr die Folge nachhören.

DiFü-News: Jeanette, warum spielt der Mensch?

Jeanette Jarke: Im Grunde steht der Spaß an erster Stelle, aber Spielen hat viele verschiedene Motive. Zum einen kann man mit Spielen die Zeit vertreiben, wenn einem langweilig ist. Zum anderen gibt es beim Spielen auch den Wettkampf. Es gibt aber auch den sozialen Aspekt von Spielen – dass man sich gerne mit anderen austauscht und sie kennenlernt. Für das Spielen gibt es sehr viele unterschiedliche Beweggründe. 

DiFü-News: Viele verschiedene Motive fürs Spielen – wer spielt denn?

Jeanette Jarke: Das kann man so genau nicht sagen, Gaming hat sich mittlerweile in allen Altersgruppen etabliert. Es gibt aktuelle Zahlen dazu, dass über die Hälfte der Menschen in Deutschland im Alter zwischen 6 und 60 Jahren spielen. Interessant dabei ist auch, dass weibliche und männliche Personen nahezu gleich oft vertreten sind, wenn es ums Spielen geht. Die Tendenz ist allerdings, dass männliche Person länger spielen.

Der Altersdurchschnitt ist höher als man denkt; aktuell liegt er bei knapp 38 Jahren. In den letzten zehn Jahren ist er stark gestiegen. Ein Grund dafür könnte sein, dass insbesondere die sogenannten Mobile Games einen starken Zuwachs hatten. Fast jede Person hat eine Spiele-App auf ihrem Smartphone. Das Smartphone ist damit die beliebteste Spieleplattform.

DiFü-News: Lass uns trotz des Durchschnittsalters von 38 Jahren über Kinder und Gaming reden. Wie führe ich ein Kind ans Spielen heran?

Jeanette Jarke: Es ist wichtig, sich aktiv mit Gaming auseinanderzusetzen, und zwar unvoreingenommen. Gerade das Thema Gaming ist mit Vorurteilen behaftet, insbesondere ältere Personen hegen Vorbehalte.

Genauso wichtig ist es auch, sich über die Spiele, die das Kind spielen möchte, zu informieren. Zum Beispiel über Alterskennzeichen: Auf jedem Spiel gibt es eine solche Kennzeichnung von der USK, die zeigt, ab welchem Alter ein Spiel geeignet ist. Darüber hinaus kann man sich auch beim Spieleratgeber informieren, der eine pädagogische Beurteilung bietet. Mit solchen Hilfsmitteln, die man auch leicht online findet, können sich Erwachsene aktiv damit auseinandersetzen. Das wiederum hilft, dass Kinder Vertrauen haben, dass sich die Eltern für die eigenen Spiel- und Online-Aktivitäten interessieren.

DiFü-News: Gibt es einen Richtwert, wie lange Kinder spielen dürfen?

Jeanette Jarke: Ja, da gibt es etwas, das sich auch nach dem Alter staffelt. Man kann schon sagen: je älter, desto flexibler. Das hat damit zu tun, dass die Konzentrationsfähigkeit mit zunehmendem Alter auch zunimmt. Ich würde ein 6-jähriges Kind nicht so lange spielen lassen wie ein 13-jähriges. Die Aufmerksamkeitsspanne ist einfach zu kurz. Man merkt dann auch recht schnell, dass Kinder überladen und überreizt sind und nicht mehr klarkommen.

Wie Kinder auch Eindrücke vom Gaming be- und verarbeiten, ist sehr individuell. Jedes Kind reagiert anders und man sollte das eigene Kind auf jeden Fall beobachten: Wie ist die Laune nach dem Spielen? Wie viel Zeit nimmt Gaming in Anspruch? Geht die Zeit komplett fürs Gaming drauf oder bleibt noch Zeit für Schule, Familie und Freundschaften? Das muss man abwägen.

DiFü-News: Du hast erwähnt, dass viele Mobile Games auf ihrem Handy haben. Zwar haben nicht alle Kinder ein Handy, aber sie haben häufig trotzdem Zugriff auf einen Laptop, ein Tablet oder andere Geräte, die mit dem Internet verbunden sind. Wie kann ich Kinder schützen, wenn sie im Internet spielen? Geht das – und wenn ja, wie?

Jeanette Jarke: Ja, das geht auf jeden Fall. Es gibt viele technische Möglichkeiten, um Geräte und Plattformen kindersicher zu machen. Zum Beispiel gibt es bei der Playstation spezielle Kinderkonten, mit denen man von vornherein bestimmte, nicht altersgerechte Spiele ausschließen kann. Außerdem kann man dort auch einstellen, dass keine Onlinekäufe getätigt und genehmigt werden sollen. Und auch bei Apps kann man viele Einstellungen vornehmen, etwa Barrieren wie Passwörter etc., damit Kinder nicht einfach über die Kreditkarte von Erwachsenen In-Game-Käufe tätigen können. Aber jenseits der technischen Komponente sollte man sich auch aktiv wieder mit dem Thema Gaming auseinandersetzen: Ich kann einem Kind nicht einfach ein Smartphone in die Hand drücken und „Du machst das schon!“ sagen, sondern ich muss selbst schon informiert sein.

DiFü-News: Wie sieht es aus mit Themen wie zum Beispiel Grooming im Internet? Wie können wir Kinder davor schützen?

Jeanette Jarke: Auch hier gibt es technische Möglichkeiten. Dass man zum Beispiel Chats innerhalb von Spielen von vornherein[RL1]  ausschließt, damit Kinder nicht von anderen Spielenden kontaktiert werden können. Ich würde aber gerne noch mal auf den monetären Aspekt zurückkommen, weil das auch gerade aktuell ist. Hier geht es insbesondere um das Thema der sogenannten Loot-Boxen beim Spiel „Fifa“. Dabei tätigt man Käufe, bei denen man nicht weiß, was man erhält. Diese Loot-Boxen fungieren also wie Schatz- oder Überraschungskisten. Das hat einen gewissen Reiz auf Jugendliche.

DiFü-News: Also klassisch wie die Wundertüte damals!

Jeanette Jarke: Genau, nur eben online. Und weil es so einen Reiz auf Jugendliche hat, möchte ich da unbedingt noch einmal drüber sprechen: Teilweise werden auf bestimmten Streaming-Plattformen diese Loot-Boxen geöffnet und regelrecht gefeiert. Wenn man solche Streams schaut, kann man natürlich denken: Auch ich kann Dinge gewinnen, die einen großen Wert haben und die ich dann weiterverkaufen kann.  Aber die Gewinnwahrscheinlichkeit ist sehr gering und das ist vielen nicht bewusst.

Es mögen vielleicht kleine Beträge sein, die man dort ausgibt, aber die summieren sich sehr schnell. Da muss man wirklich aufpassen, dass ein Spiel nicht zur Kostenfalle wird. Gerade Mobile Games, die in der Basisversion kostenfrei sind, sind in ihren Spielmechaniken so entwickelt, dass sie die Spielenden an das Spiel binden – und dazu verleiten, im Spiel Ausgaben zu tätigen, weil man dann schneller vorankommt. Und gerade wenn man merkt, dass das Spiel einen in den Bann gezogen hat, kann das sehr gefährlich werden.

DiFü-News: Das klingt wie eine Glücksspielsucht, oder?

Jeanette Jarke: Ja! Dieser Mechanismus ähnelt einem Glücksspielgeldautomaten, das hat denselben Reiz. Die Spielenden wissen nicht, was als nächstes passiert und erhalten zufällige Belohnungen. Das kommt dem schon sehr nahe.  

DiFü-News: Wie entsteht eine Sucht?

Jeanette Jarke: Sucht hat verschiedene Ursachen. Gerne herangezogen wird das bekannte TRIAS-Modell. Demnach gibt es drei Bereiche, die dafür sorgen, dass Personen süchtig werden. Zum einen liegt es in der eigenen Persönlichkeit. Verliert eine Person sehr schnell die Kontrolle über das eigene Verhalten? Gerade beim Gaming kennt man es bestimmt selbst aus dem Freundes- oder Bekanntenkreis. Es gibt vielleicht Personen, die eher introvertiert sind und denen es nicht so leicht fällt, soziale Kontakte zu knüpfen. Online können sie leichter andere kennenlernen und auf diesem Weg Freundschaften knüpfen.

Was zweitens eine wichtige Rolle spielt, ist das eigene Umfeld, die Familie, aber auch die Gesellschaft, in der ich lebe. Wer sich unter Druck gesetzt oder nicht ernstgenommen fühlt von der Familie, in der Schule oder auf der Arbeit, für den kann Gaming etwas sein, um die eigenen Gefühle zu kontrollieren. Ein Mittel, um die Emotionen wieder in Balance zu bringen.

Der dritte Faktor ist das Suchtmittel selbst, also in dem Fall die Games. Es konnte statistisch belegt werden, dass bei Online-Rollenspielen wie zum Beispiel „World of Warcraft“ die Gefahr und Wahrscheinlichkeit für eine Sucht höher ist. Wenn jemand exzessiv spielt, hat das auch mit den im Spiel enthaltenen Mechaniken zu tun.  Man muss unbedingt aufpassen, wenn man merkt, dass jemand wirklich langanhaltend ein Spiel spielt – das ist ein Warnzeichen.

DiFü-News: Über die längere Nutzung hinaus – welche weiteren Anzeichen gibt es für eine Sucht?

Jeanette Jarke: Wenn wir über Gaming Disorder, also eine Abhängigkeit von Computerspielen sprechen, gibt es aktuell drei Kriterien:  Das ist erstens der Kontrollverlust über das eigene Spielverhalten. Eine Person kann z. B. selbst dann nicht aufhören zu spielen, wenn ein wichtiger Termin ansteht oder wenn die Situation unangemessen erscheint.  

Ein zweites Kriterium ist, dass das Spielen immer Vorrang gegenüber anderen Interessen hat. Wenn sich jemand vorher oft mit Freund:innen getroffen hat oder Sport gemacht hat und das plötzlich stark abnimmt, dann merkt man das als Elternteil recht schnell, wenn man sich mit seinem Kind aktiv auseinandersetzt.

Das letzte Hauptkriterium ist, dass das Spielen langanhaltend überhandnimmt, dass man also trotz negativer Konsequenzen weiterspielt. Wenn man zum Beispiel sieht, dass das Spielen sich negativ auf die schulischen Leistungen, die Gesundheit oder das Sozialleben eines Kindes auswirkt und es trotz eines persönlichen Leidensdrucks weiterspielt.

Das sind die drei Hauptkriterien, die über einen Zeitraum von zwölf Monaten erfüllt sein müssen. Es ist nicht zu verwechseln damit, dass man sich auf ein neues Spiel freut und dann bis spät in die Nacht spielt.

DiFü-News: Wie kann ich als angehörige Person jemanden mit einer Sucht unterstützen?

Jeanette Jarke: Wenn einem auffällt, dass etwas nicht stimmt, ist es wichtig, die betroffene Person aktiv anzusprechen. Dabei aber unbedingt beachten: Nicht mit Vorwürfen loslegen, weil das häufig komplett abgeblockt wird. Stattdessen ist es besser, die Situation objektiv zu beschreiben, zum Beispiel: „Mir ist das aufgefallen. Im Gegensatz zu früher ist das anders geworden.“

Außerdem kann man sich auch online Unterstützung suchen, indem man zum Beispiel an Selbsthilfegruppen teilnimmt. Die gibt es mittlerweile nicht nur für Betroffene, sondern auch für Angehörige, damit man sich austauschen kann. Außerdem sind Online-Selbsttests hilfreich, wenn man Schwierigkeiten hat, einzuschätzen, ob ein Verhalten schon Anzeichen einer Sucht enthält oder nicht. Solche Selbsttests dienen nur der Orientierung.

Wem dann empfohlen wird, sich professionelle Unterstützung zu suchen, der sollte das auch tun – ambulant oder stationär.

DiFü-News: Übernehmen die Krankenkassen solche Therapien?

Jeanette Jarke: Ja. Mittlerweile ist Computerspielsucht auch offiziell als Suchterkrankung anerkannt.

Was mir noch wichtig ist: Gerade die Computerspielsucht geht oft einher mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder einer Angststörung. Sich über diese sogenannte Komorbidität bewusst zu sein, kann vielleicht auch schon helfen, eine Sucht zu erkennen. Wenn man also merkt oder weiß, dass man depressiv ist, sollte beim Thema Gaming wachsam sein. Es gibt viele Möglichkeiten, Hilfe zu bekommen.

Das Thema Gaming, aber auch das Thema Sucht hat im Zuge der Pandemie viel Aufwind bekommen. Mit Spielen kann man eine Menge Spaß haben, aber wenn man wirklich das Gefühl hat, da könnte ein Problem hinter stecken, sollte man das auf jeden Fall beobachten und bei Bedarf aktiv werden.

DiFü-News: Danke für das Gespräch, Jeanette!

Artikelbild: Fredrick Tendong via unsplash.com