DiFü-News: Lisa, schön, dass du da bist. Du arbeitest bei HateAid. Deswegen würde ich gerne wissen, welche Belästigungen es im Netz allgemein gibt.

Lisa Weber: Es gibt unterschiedliche Phänomenbereiche von digitaler Gewalt. Um deren Komplexität zu verdeutlichen, nutzen wir ganz bewusst den Begriff der digitalen Gewalt. Vieles, was eine Person im analogen Leben erfahren kann, kann sie auch im Netz erleben. Konkret äußert sich digitale Gewalt zum Beispiel in Form von Hasskommentaren, Hate Speech, Cybermobbing, Stalking und so weiter. Digitale Gewalt betrifft aber auch Taten wie Identitätsdiebstahl, das Erstellen von Fake-Profilen oder Doxing. Außerdem kann digitale Gewalt auch sexuelle Belästigung umfassen, das Verbreiten von Nacktfotos oder intimen Videos oder das Verschicken von Dickpics. Die Liste ist noch viel länger.

DiFü-News: Welche der Formen von digitaler Gewalt, die du aufgezählt hast, hat in letzter Zeit zugenommen?

Lisa Weber: In unserer Beratung beobachten wir vor allem, dass der Phänomenbereich um das Thema gefälschte Nacktfotos und Deepfakes in der Pornographie zunimmt. Deepfakes sind Video, Bilder oder Audiodateien, die halt mit Hilfe von künstlicher Intelligenz erstellt werden, und dieser Begriff Deep Fake leitet sich halt ab von einmal Deep Learning, also tiefes Lernen und fake, also der Fälschung. Wir befürchten leider auch, dass es noch weiter zunehmen wird. Mittlerweile ist es durch die Verwendung von Face-Swap-Apps sehr einfach und niedrigschwellig, Bilder oder Videomaterial zu fälschen. Das ist gefährlich und wird in Zukunft durch die Entwicklung von künstlicher Intelligenz noch gefährlicher. Deshalb haben wir dazu auch eine Petition mit drei Forderungen gestartet: Die erste Forderung ist, dass die ungeheure Manipulation von Nacktaufnahmen gestoppt werden muss. Zweitens fordern wir, Manipulationsapps aus dem App Store zu entfernen und drittens, mit stärkeren Gesetzen die Manipulation zu stoppen.

DiFü-News: Wer ist von pornographischen Deepfakes am ehesten betroffen?

Lisa Weber: Grundsätzlich kann jede Person von Hass im Netz betroffen sein. Wir hören in unserer Beratung ganz viele unterschiedliche Geschichten. Was wir beobachten, ist, dass die Diskriminierung aus der analogen Welt auch immer wieder im digitalen Bereich wiederzufinden ist und dann online fortgesetzt wird. Besonders oft sind marginalisierte Gruppen, unter anderem Menschen, die bereits im analogen Leben Diskriminierung erfahren haben, betroffen. Das können jüdische Menschen sein, aber auch Menschen aus der LSBTQI+ Community, die zum Beispiel queerfeindlichen Angriffen ausgesetzt sind. Genau und Frauen sind vor allem sehr häufig von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen und unter anderem halt auch von bildbasierter sexualisierter Gewalt, wie zum Beispiel dem Phänomenbereich Deep Fakes. Aber Frauen sind vor allem auch von sexistischen Hasskommentaren oder Drohungen, Belästigung betroffen. Darüber hinaus können auch Personen des öffentlichen Lebens oder einfach generell Menschen, die im Netz Position beziehen und ihre Meinung zu bestimmten Themen äußern, betroffen sein. Das können Journalist:innen, Politiker:innen oder politisch Engagierte sein. Auf das Alter bezogen, hat eine Studie aus dem Jahr 2019 ergeben, dass vor allem jüngere Menschen zwischen 18 und 24 Jahren häufiger als ältere Menschen von persönlichen Erfahrungen mit Hass im Netz berichteten.

DiFü-News: Meinst du, das liegt auch daran, dass die jüngeren Menschen mehr im Netz vertreten sind und deshalb die Wahrscheinlichkeit höher ist, dass sie hier auch Kommentare erleben?

Lisa Weber: Ja. Ich denke, dass jüngere Menschen diese Kommunikationsforen auch intensiver nutzen und im digitalen Bereich sichtbarer sind. Dadurch sind sie stärker angreifbar als ältere Menschen. Und zudem ist es aber auch zu sagen, dass jüngere Menschen, da sie noch sich in einem Prozess der Identitätsbildung befinden, teilweise hohe Unsicherheit oder auch Verletzlichkeit oder Verletzbarkeit aufweisen und sie deswegen vor allem eine vulnerable Gruppe bilden.

DiFü-News: Nicht nur die Arten von digitaler Gewalt sind sehr vielfältig, sondern auch die betroffenen Personen.

Lisa Weber: Genau. Es ist aber noch wichtig zu betonen, dass wir nichts über das Dunkelfeld, also die Dunkelziffer, wissen. Es kommt auch vor, dass Betroffene digitale Gewalt selbst herunterspielen oder sie gar nicht als solche wahrnehmen. Deswegen ist es so wichtig, flächendeckend und über unterschiedliche Phänomenbereiche, über digitale Gewalt aufzuklären.

DiFü-News: Wer aus der Gruppe der Betroffenen wendet sich besonders an euch, an HateAid?


Lisa Weber: Das sind vor allem die bereits angesprochenen marginalisierte Gruppen. Wir beraten Personen ab 18 Jahren. Das können Menschen sein, die auf ganz unterschiedliche Weise von digitaler Gewalt betroffen sind. Aber es melden sich auch Menschen bei uns, die sich präventiv beraten lassen wollen. Zum Beispiel wenn sie etwas gepostet haben oder demnächst ein Buch veröffentlichen. Sie stellen sich dann oft Fragen wie: Wie kann ich mich präventiv schützen, dass es vielleicht erst gar nicht zu einem Angriff kommt? Außerdem bekommen wir Anfragen für Vorträge oder Workshops.

DiFü-News: … oder für Podcasts. Und wie helft ihr dann, wenn sich jemand an euch wendet? Also klar, du hast gerade gesagt: Präventiv könnt ihr helfen und gebt wahrscheinlich dann Tipps. Und wenn das aber nicht präventiv ist, sondern akut, was macht ihr dann? Wie funktioniert das?


Lisa Weber: Betroffene haben unterschiedliche Kanäle, über die sie uns kontaktieren können. Zum einen gibt es die Möglichkeit, sich in unseren Telefonsprechstunden zu melden. Diese finden dreimal in der Woche statt. Außerdem kann man uns auch zweimal die Woche per Chat kontaktieren. Ansonsten können Betroffene sich per E-Mail oder über ein Kontaktformular melden.

Unsere Beratung ist in drei Säulen aufgebaut. Zum einen bieten wir eine emotional stabilisierende Beratung. Das bedeutet, dass wir häufig erst einmal eine Krisenintervention machen und schauen, wie wir einer Person, die sehr belastet ist, erst einmal wieder handlungsfähig machen. Wir helfen ihr dann zum Beispiel, dass sie in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen, die sich für die Person gut anfühlt. Das kann sein, dass sie sich erst einmal vom Hass distanziert und zum Beispiel eine App löscht. Danach schauen wir gemeinsam, welche Strategien möglich sind: Sich distanzieren oder konfrontieren? Gibt es vielleicht Personen im Umfeld, die helfen können? Über diese emotional stabilisierende Beratung hinaus bieten wir aber auch Kommunikations- und Sicherheitsberatung. 

DiFü-News: Was kann ich mir darunter vorstellen?

Lisa Weber: Viele Betroffene, die ein Statement verfassen wollen, wissen oft nicht, wie sie das tun sollen, um nicht weiteren Hass zu provozieren. Und natürlich stellt sich auch die Frage, ob es sich überhaupt lohnt, in eine Diskussion zu gehen. Da gibt es mittlerweile viele

DiFü-News: Wenn sich jemand in der Beratung bei euch befindet, dann ist in den meisten Fällen schon etwas passiert. Was sind die Folgen von digitaler Gewalt?

Lisa Weber: Eine solche Gewalterfahrung ist immer eine Belastungssituation für die betroffene Person. Es kann auf der einen Seite zu Erschöpfungssymptomen wie Müdigkeit oder Konzentrationsschwierigkeiten kommen. Darüber hinaus können Gewalterfahrungen auch andere körperliche Symptome wie Kopfschmerzen, Schwindel, Schlafstörungen oder eine verminderte Leistungsfähigkeit hervorrufen. Es kann auch so weit kommen, dass sich aus diesen ersten Symptomen psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder posttraumatische Belastungsstörungen entstehen. Es ist egal, ob die Gewalterfahrung analog oder digital passiert, denn die eigene Psyche kann nicht zwischen digitaler und analoger Gewalterfahrung unterscheiden.

DiFü-News: Was kann ich, wenn ich digitale Gewalt erfahren habe, noch machen, außer mich bei HateAid beraten zu lassen?

Lisa Weber: Es kann zum Beispiel hilfreich sein, sich Gedanken zu machen, welche Informationen und sensiblen Daten im Internet über einen selbst zu finden sind. Das geht über eine schnelle Abfrage mit einer beliebigen Suchmaschine. Außerdem kann man über sich selbst beim zuständigen Meldeamt eine Melderegisterauskunftssperre beantragen. Das empfehlen wir nicht jeder Person, sondern vor allem dann, wenn einer Person schon gedroht wurde. Es kann auch sinnvoll sein, im Vorfeld einen Notfallplan aufzustellen, was zu tun ist, wenn es zu einem digitalen Gewaltangriff kommt. Wen kontaktiere ich? Mit wem spreche ich darüber? Denn es ist ganz wichtig, nicht alleine zu sein, sondern sich Hilfe zu suchen, wenn man von digitaler Gewalt betroffen ist. Wichtig ist außerdem, dass Betroffene rechtssichere Screenshots machen. Ein Screenshot ist ein Foto von einem Bildschirm – eines Handys oder eines Laptops. Screenshots funktionieren wie Augenzeug:innen in der analogen Welt.

Ein rechtssicherer Screenshot muss neben dem Kommentar oder dem Inhalt auch das Datum und die Uhrzeit des Kommentars oder des Inhalts anzeigen. Außerdem muss der Name der mutmaßlichen Täter:innen sichtbar sein. Zudem muss noch der Kontext ersichtlich sein, in dem dieser Inhalt oder dieser Kommentar gepostet wurde.

DiFü-News: Wenn man den Screenshot am Laptop macht, dann ist unten rechts immer das Datum und die Uhrzeit ersichtlich. Was wichtig ist, dass auf dem Screenshot keine sensiblen Daten zu sehen sind. Ich habe noch eine andere Frage zur Melderegisterauskunftssperre: Welche weiteren rechtlichen Schritte kann ich gehen, wenn ich von digitaler Gewalt betroffen bin?

Lisa Weber: Man kann zum Beispiel eine Anzeige bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft aufgeben, um rechtlich gegen digitale Gewalt vorzugehen. Das geht in den meisten Fällen auch online. Das sollte man übrigens auch tun, wenn man zum Beispiel möchte, dass ein Kommentar gelöscht oder Inhalte entfernt werden.

DiFü-News: Es gibt sehr viele Möglichkeiten, Menschen aufzufangen und Menschen zu helfen, von Seiten von Vereinen, wie zum Beispiel HateAid. Was kann ich tun, wenn eine Person aus meinem Umfeld von digitaler Gewalt betroffen ist?

Lisa Weber: Indem man für die betroffene Person da ist, Solidarität zeigt und klarmacht, dass sie nicht alleine ist. Kennt man die Person nicht, gibt es mehrere Möglichkeiten: Sieht man einen Hasspost, kann man Counter Speech machen, also einen Gegenkommentar verafssen. Wer das nicht möchte, kann auch der betroffenen Person eine Nachricht schreiben. Sich solidarisch mit den Betroffenen zu zeigen, kann auch heißen, einen Kommentar vielleicht zu liken, der vielleicht schon als Gegenrede gepostet wurde. Wichtig bei all diesen Optionen ist es, die Situation und sich selbst zu beobachten und empathisch für die Stimmung im Dialog zu bleiben. Außerdem wichtig: Wenn man Gegenreden schreibt, selbst keinen Hass zu produzieren.

Digitale Zivilcourage ist sehr wichtig, vor allem für die stillen Mitlesenden. Denn so kann man verdeutlichen, dass Hass und Hasskommentare keine allgemeingültigen und repräsentativen Aussagen oder repräsentative Meinungsbilder sind und dass es auch etwas anderes als diesen Hass und diese Hassrede gibt. Digitale Zivilcourage ist ein wichtiges Mittel, um Menschenrechte und demokratische Werte zu schützen.

DiFü-News: Danke für dieses Gespräch, Lisa!

Die ganze Folge könnt ihr hier hören.