DiFü-News: Kim, was verstehst du unter dem Begriff „digitale Teilhabe“?

Kim Klebolte: Vereinfacht gesagt ist digitale Teilhabe für mich die Möglichkeit, sich sicher und souverän in der digitalen Welt bewegen zu können. Digitale Teilhabe wird zunehmend zur Voraussetzung für eine grundsätzliche gesellschaftliche Teilhabe – sei es, um sich Informationen zu beschaffen oder um mit Google Maps von A nach B zu kommen, sich zu informieren oder auch, um zu arbeiten. Gleichzeitig sehen wir aber auch, dass digitale Teilhabe noch nicht für alle Menschen so ausgeprägt ist, wie wir das gerne hätten. Es gibt eine klare digitale Spaltung.

DiFü-News: Wie zeigt sich diese Spaltung?

Kim Klebolte: Nicht alle Menschen haben den gleichen Zugang zur digitalen Welt und auch nicht alle Menschen besitzen die gleichen Digital- und Medienkompetenzen. Das müssen wir angehen. Wir haben beispielsweise eine Studie, die sagt, dass die Digitalisierung heute aus keinem Lebensbereich mehr wegzudenken ist. Über 80 Prozent sehen die Digitalisierung als zentral für soziale Kontakte. Auch im Bereich Gesundheit und Vorsorge und auch im Bildungsbereich geht es nicht mehr ohne – das haben wir während der Corona-Pandemie gesehen.

DiFü-News: Welche Voraussetzungen braucht es denn, damit so viele Menschen wie möglich digital teilhaben können?

Kim Klebolte: Grundsätzlich braucht es vor allem eine Infrastruktur. Teilhabe am Internet ist nur möglich, wenn ich auch auf das Internet zugreifen kann – gerade im ländlichen Raum gibt es hier oft noch Ausbaupotenzial. Der Zugang kann aber auch durch digitale Endgeräte wie Smartphone, Tablet, Laptop oder PC gegeben sein. Ein zweiter Aspekt, der mindestens genauso wichtig ist, ist die Frage der Medienkompetenz: Weiß ich wirklich, was ich im Internet tue, weiß ich, wie ich eine App bediene, wie ich mich mit einem Smartphone zurechtfinde? In diesem Bereich gibt es noch große Ungleichheiten. Auch wichtig ist digitale Barrierefreiheit, um vor allem die Zielgruppen abzuholen, die bisher noch nicht so viel an der digitalen Welt teilnehmen.

DiFü-News: Wenn wir über Kompetenz sprechen, geht es da vorrangig um solches Praxiswissen?

Kim Klebolte: Es gibt ganz viele Kompetenzen und vor allem viele Kompetenzmodelle – von der EU, von der OECD … ich finde eine Definition von der OECD ganz schön, die sagt, dass digitale Kompetenzen vor allem bedeuten, dass man sich in einer unsicheren Zukunft sicher und souverän bewegen kann. Wir wissen eben heute noch nicht, wie die Welt von morgen aussieht. Wir wissen noch nicht, welche Jobs wir in 30 Jahren machen. Und da ist es eine wichtige digitale Kompetenz, mit dieser Unsicherheit umgehen zu können und auch das sogenannte „Lernen zu lernen“. Das ist für mich ein ganz wichtiger Punkt, dass das Lernen nicht aufhört, wenn wir die Schule verlassen, wenn wir die Ausbildung verlassen, wenn wir die Universität verlassen, sondern dass wir uns immer wieder neu der Herausforderung stellen, am Arbeitsplatz, im Kontext mit Freunden und Familien und natürlich auch im Alter. Dass wir also Lernen wirklich als lebenslange Reise begreifen und diese Medienkompetenzen – sei es das Erkennen von Falschinformationen oder das Wissen über sichere Passwörter – schulen und sicherstellen, dass wir da niemanden verlieren.

DiFü-News: Wie kann man Medienkompetenzen erwerben?

Kim Klebolte: Da muss ich Eigenwerbung machen: Der Digitaltag macht Digitalisierung erlebbar. Es gibt ganz viele tolle Projekte, die mit Erfahrungsorten arbeiten. Zum Beispiel die Erfahrungsorte der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorinnen und Senioren (BAGSO). Dort werden älteren Menschen wirklich niedrigschwellig digitale Technologien gezeigt. Die sagen einfach: Wir starten bei dir zu Hause in einem sicheren Umfeld, mit Menschen, die du kennst, und wir machen wirklich klar, was für dich der konkrete Nutzen sein kann – zum Beispiel der Kontakt mit Freundinnen und Freunden oder der Familie. Erfahrungsorte können aber auch die Bibliothek, der Marktplatz, die Schule sein.

DiFü-News: Das heißt, du siehst diese Kompetenzvermittlung nicht an eine Reihe bestimmter Institutionen gebunden, sondern vor allem an Orte?

Kim Klebolte: Absolut. Für mich ist das eine Aufgabe für uns alle. Natürlich gibt es Punkte, an die man sofort denkt: Institutionen wie die Schulen, die Kitas, den Hochschulbetrieb – und ich glaube, das ist auch ganz wichtig, dass dort die Grundlagen für Kompetenzen vermittelt werden. Ich sehe auch Unternehmen in der Pflicht, ihre Mitarbeitenden mitzunehmen. Genauso steht die Zivilgesellschaft in der Verantwortung, und die macht einen super Job mit niedrigschwelligen Angeboten. Und natürlich ist es am Ende auch die Politik: Welchen politischen Rahmen können wir setzen, um sicherzustellen, dass sich eben alle Bürgerinnen und Bürger souverän in dieser Welt bewegen? Da geht es schlichtweg um Demokratie.

DiFü-News: Was hat digitale Teilhabe für eine politische Relevanz?

Kim Klebolte: Die Politik steht in der Pflicht, einer digitalen Spaltung entgegenzuwirken. Wir sehen, dass vor allem Frauen und ältere Generationen, auch Menschen mit niedriger formeller Bildung aktuell Gefahr laufen, digital den Anschluss zu verlieren. Es müssen also zielgruppenspezifische Angebote geschaffen und gefördert werden, damit man diese Menschen nicht verliert. Speziell im Hinblick auf Demokratie ist ein Thema besonders wichtig: Desinformation. In einer Demokratie müssen Menschen wissen, wie man Fehlinformationen aufdeckt und ihnen entgegenwirkt. Unterm Strich hat das Thema digitale Teilhabe eine sehr hohe politische Relevanz.

DiFü-News: Glaubst du, man sollte den digitalen Kompetenzen die gleiche Bedeutung beimessen wie Lesen, Schreiben und Rechnen?

Kim Klebolte: Man sollte diese Kompetenzen nicht gegeneinander ausspielen. Das muss zusammen gedacht werden: Ich lerne lesen mit einem Buch, vielleicht aber auch mit einem Tablet, unterstützt durch das Handy. Ich informiere mich darüber, wie ich an Informationen komme in meiner Schulbibliothek und vielleicht auch über Tools. Die Bereiche sind heute schon sehr verflochten.

DiFü-News: Verstehst du eigentlich alle digitalen Tools, die du so täglich benutzt, auf Anhieb oder hast du auch manchmal Schwierigkeiten?

Kim Klebolte: Bei mir kommen auch manchmal Fragezeichen auf. Ich verstehe dann, was ich jetzt klicken muss und wie ich dahin oder dorthin komme, aber frage mich dann, ob eine andere Lösung nicht einfacher gewesen wäre. Ich glaube, man neigt manchmal dazu, Prozesse zu kompliziert abzubilden. Deswegen ist das Thema digitale Barrierefreiheit so spannend, denn stattdessen sollte man sich überlegen: Wie kann ich in einfachen Schritten, in einfachen Worten, in wenigen Klicks ein Angebot so gestalten, dass sich Leute beteiligen?

DiFü-News: Je mehr Menschen sich im Netz beteiligen, desto größer ist auch das Publikum für Hass, für Cybermobbing und Shitstorms. Wie kann man dagegen steuern?

Kim Klebolte: Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Das heißt, der Schutz von User:innen ist genauso zu gewährleisten wie in der analogen Welt. Das vergisst man manchmal. In meinen Augen sind auch hier Weiterbildung und Schulung ein Weg. Das bedeutet, überhaupt Aufmerksamkeit zu schaffen: Was ist Hass im Netz? Wie kann ich dem begegnen? Wie kann ich vielleicht auch diejenigen sensibilisieren, die häufiger davon betroffen sind, aber nicht dieselben Ressourcen haben wie ich? Da sind wir wieder beim Thema Niedrigschwelligkeit. Es gibt jedenfalls viele tolle Beratungsangebote. HateAid zum Beispiel ist eine Organisation, die das Ziel hat, Demokratie im digitalen Raum zu stärken. Betroffene von digitaler Gewalt können sich melden, informieren und auch Begleitung bei Rechtsprozessen erhalten.

Dass man Hass und Hetze als Ganzes unterbinden kann, glaube ich nicht. Das ist ähnlich wie in der analogen Welt, in der es auch Gesetze gibt, aber wir sind dann trotzdem darauf angewiesen, dass sie umgesetzt werden. Da geht noch einiges im digitalen Raum.

DiFü-News: Vielen Dank für das Gespräch!

Bild: Martin Klemmer

Kimberly Klebolte ist Geschäftsführerin DFA Digital für alle gGmbH. Diese Initiative hat das Ziel, die digitale Teilhabe in Deutschland zu fördern: Alle sollen am digitalen Wandel teilnehmen und davon profitieren.

Einmal jährlich findet außerdem der bundesweite Digitaltag statt, am 16. Juni 2023 bereits zum vierten Mal. An diesem Tag können sich verschiedene Akteure wie Vereine, Städte und auch Bundesländer einbringen, damit Verbrauchende sich über digitale Themen informieren und diese erleben können. Die DFA veröffentlicht jedes Jahr auch eine Studie zur digitalen Teilhabe.

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