In Folge 22 unseres Podcasts D wie Digital haben wir mit Kimberly Nicolaus über Desinformation gesprochen. Sie arbeitet als Faktencheckerin und Journalistin bei CORRECTIV. Hier könnt ihr die Folge nachhören.

DiFü-News: Kimberly, was sind Fake News?

Kimberly Nicolaus: Fake News sind falsche Informationen, die bewusst verbreitet werden, um Personen zu täuschen. Der Begriff „Fake News“ wurde vor allem vom ehemaligen US-Präsident Trump verwendet, um etablierte Medien zu diskreditieren. Deshalb nutzen wir bei CORRECTIV den Begriff „Fake News“ nicht mehr, sondern sprechen von „Desinformation“.

DiFü-News: Gibt es einen Unterschied zwischen den Begriffen „Fake News“ und „Desinformation“?

Kimberly Nicolaus: Per Definition kann man sagen, es ist das gleiche. Falsche Informationen werden bewusst verbreitet, um Personen zu täuschen. „Desinformation“ als Begriff ist aber nicht so aufgeladen wie „Fake News“, das oft als politisches Instrument eingesetzt wurde.

DiFü-News: Wir werden im Laufe des Tages mit vielen Nachrichten auf unterschiedlichen Plattformen konfrontiert. Manchmal lese ich etwas und denke mir, das klingt zu absurd, um wahr zu sein. Manchmal ist es wahr, manchmal ist es nicht wahr. Wie kann ich Desinformationen erkennen?

Kimberly Nicolaus: Besonders bei Desinformation können Text und Bilder stark emotionalisierend wirken. Wenn du denkst, „das macht mir Angst“oder „das macht mich wütend“, kann das ein Anzeichen dafür sein, dass es sich um Desinformation handeln könnte. Dann sollte man unbedingt die Quellen prüfen: Wer hat diese Nachricht veröffentlicht? Verfolgt die Person oder der Social-Media-Account unter Umständen bestimmte Ziele? Was wurde in der Vergangenheit von dieser Person oder diesem Account veröffentlicht?

Außerdem kann man das Bild oder das Video – bzw. ein Standbild eines Videos – per Bilder-Rückwärtssuche einfach mal durch Google jagen. Das funktioniert einfach und ist ein gutes Mittel, um potenzielle Desinformation zu erkennen: Man schiebt das Bild einfach in die Google-Suchleiste und kann dadurch vielleicht herausfinden: Okay, das Foto ist gar nicht aktuell, sondern stammt aus vorherigen Jahren und einem ganz anderen Kontext.

DiFü-News: Du sagtest, dass Desinformation wahrscheinlich starke Emotionen hervorruft. Bedeutet das, dass seriöse Berichterstattung kein Gefühl bei mir hervorruft, sondern neutral ist?

Kimberly Nicolaus: Berichterstattung sollte neutral sein. Klar, es gibt auch Kommentare, die Meinungen enthalten. Aber auch informierende, neutrale Nachrichten-Artikel können Sorgen auslösen. Seriöse Berichterstattung sorgt jedenfalls selten dafür, dass man richtig, richtig wütend ist.

DiFü-News: Das bedeutet, dass man als Rezipientin reflektiert genug sein muss, um unterscheiden zu können zwischen „ich bin jetzt wütend wegen dieses Artikels“ und „ich bin wütend wegen des Sachverhalts, der in dem Artikel beschrieben wird.“

Kimberly Nicolaus: Genau, es erfordert ein gewisses Level an Medienkompetenz. Das zu vermitteln, ist wichtig, damit Menschen genau solche Unterscheidungen machen können.

DiFü-News: Dann sind Medienkompetenzen ein Mittel gegen die Verbreitung von Desinformationen – welche weiteren Möglichkeiten gibt es?

Kimberly Nicolaus: Auf Webseiten sollte man zum Beispiel das Impressum anschauen. In Deutschland besteht Impressumspflicht, das bedeutet unter anderem, ein Impressum muss Kontaktangaben enthalten. So sieht man, wer für die Inhalte dieser Seite verantwortlich ist. Steht im Impressum nichts oder ist dort eine ausländische Adresse angegeben, ist das erst einmal kein gutes Zeichen. Denn das könnte ein Anzeichen dafür sein, dass die Inhalte, wenn sie zum Beispiel deutschsprachig sind, vielleicht nicht so seriös sind. Durch ein ausländisches Impressum kann man sich eher der Justiz entziehen.

DiFü-News: Ist es – aus deiner Erfahrung – für Privatpersonen immer so leicht, nachzuvollziehen, ob etwas Desinformation ist?

Kimberly Nicolaus: Es ist nicht immer leicht, Desinformationen zu entlarven. Es wäre falsch zu sagen, dass es immer mit einer Bilderrückwärtssuche getan ist. Wenn man verunsichert ist und nicht weiß, ob eine Information stimmt, hilft es, bewusst nach Faktenchecks auf Suchmaschinen zu suchen. Dann stößt man auf unsere Artikel oder auf Artikel von anderen Faktencheck-Redaktionen. Wenn es zu einem bestimmten Thema noch nichts gibt, kann man CORRECTIV den Link oder die Nachricht schicken. Wir schauen uns das an, schreiben gegebenenfalls einen Faktencheck dazu und schicken ihn dann auch direkt zurück. Wir freuen uns immer über Einreichungen, egal, auf welchem Kanal. Übrigens sind wir auch als CORRECTIV bei TikTok unterwegs und schauen, welche Videos dort kursieren.

DiFü-News: Gibt es eine Personengruppe, die besonders anfällig ist für Desinformation?

Kimberly Nicolaus: Während der Corona-Pandemie ist mir aufgefallen, wie sehr Desinformation wirklich alle betreffen kann. Es war auch zu beobachten, wie Desinformation in Kreise vordringt, die eigentlich nicht so anfällig dafür sind. Besonders anfällig sind aber Personen mit wenig Medienkompetenz, weil ihnen die Unterscheidung zwischen seriös und unseriös schwerer fällt. Und wenn es in die Richtung von Verschwörungserzählungen geht, sind auch Leute besonders anfällig, die gerade einen Kontrollverlust erleben. Während der Corona-Pandemie zum Beispiel ist wahnsinnig viel passiert. Alle haben versucht, sich zu informieren, auf dem neuesten Stand zu bleiben, aber manchmal gab es noch keine Antwort. Wenn jemand das Gefühl hat, keine Kontrolle zu haben, können Verschwörungserzählungen daran leider gut andocken. Sie geben vermeintlich Antworten, an denen man sich festhalten kann.

DiFü-News: Wie bekomme ich denn jemanden, der oder die schon sehr viel Desinformation aufnimmt, aus diesem Strudel oder dieser Bubble wieder heraus? Ist das überhaupt möglich?

Kimberly Nicolaus: Wenn Personen so tief in einem Strudel oder einer Bubble stecken, dass sie wirklich sagen, „ich glaube nicht, was die Tagesschau, was CORRECTIV Faktencheck schreibt“, dann kann man sie auch kaum noch mit Fakten überzeugen. Ich kann nur bedingt mit Expertise sprechen, aber in einem solchen Fall ist es wichtig, sofern möglich, im privaten Umfeld im Gespräch zu bleiben. Stille ist eine Form von Zustimmung. Indem man im Gespräch bleibt, kann man vielleicht damit verhindern, dass die Person in ihrer Bubble, die auch an bestimmte Verschwörungserzählungen oder Desinformationen glaubt, steckenbleibt. Denn das löst Druck aus – es fällt schwer, sich einzugestehen, dass man falsch liegt. Wenn man vom eigenen Umfeld dann aber Hinweise und Gesprächsangebote erhält, kann das durchaus helfen, aus diesem Desinformations-Strudel zu entkommen. 

DiFü-News: Welche Folgen hatten und haben Desinformationen?

Kimberly Nicolaus: Im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine beispielsweise ist eine Folge von Desinformation, dass man Sympathien für eine bestimmte Kriegspartei erzielen möchte. Das könnte zum Beispiel dazu führen, dass man dem Narrativ Putins, dass die Ukraine vermeintlich entnazifiziert werden müsse, Glauben schenkt. Desinformation kann sehr starke gesellschaftliche Auswirkungen haben.

DiFü-News: Denn nicht jede Person hat die Möglichkeit, Desinformation zu enttarnen.

Kimberly Nicolaus: Genau. Im Zweifel muss man einen gewissen Aufwand betreiben. Privatpersonen können das in ihrem Alltag selbstverständlich nicht leisten – dafür sind wir von CORRECTIV da. Ein Themenbereich, in dem es viel Desinformation gibt, ist zum Beispiel der Klimawandel: Es wird sehr häufig versucht, Belege dafür anzuführen, dass es den Klimawandel entweder überhaupt nicht gibt oder dass er nicht durch Menschen verursacht wird. Das hat Auswirkungen: Wenn einem ein Algorithmus immer wieder solche Beiträge anzeigt, dann kann das das Meinungsbild einer Gesellschaft ändern. Dabei gibt es längst einen wissenschaftlichen Konsens.

DiFü-News: Wie maße ich mir an zu sagen, Wissenschaftler:innen, die seit Jahrzehnten dazu forschen und Evidenz haben, liegen falsch?

Kimberly Nicolaus: Was wir kürzlich erst wieder hatten, waren Tweets, in denen die Berichterstattung des ZDF angegangen wurde. Das ZDF hatte über Dürren und trockene Böden berichtet, aber im Sommer 2023 hat es oft geregnet. Das haben auch die Leute auf Twitter richtig beobachtet, ihre Schlussfolgerungen waren aber falsch. Denn es fehlte das Verständnis dafür, dass trotz starken Regens der Boden unter der Oberfläche nicht ausreichend bewässert ist.

Das ist ein Beispiel rund um Alltagsbeobachtungen. Es gibt aber auch anders gelagerte Fälle, etwa wenn jemand den Klimawandel leugnet und sich dabei auf eine Studie bezieht. Häufig zeigt sich dann, dass Ergebnisse von Studien falsch interpretiert werden oder sogenanntes Cherry Picking betrieben wird – wenn ich also bei Google nach Klimawandel suche und dann nur die Links nehme, die meine Meinung bestätigen. Und zuletzt gibt es noch den Fall von Studienergebnissen, die zwar richtig verstanden, aber in einen falschen Kontext gesetzt werden.

DiFü-News: Der Kontext ist oft entscheidend, um Informationen gut einzuordnen. Genau das macht ihr als CORRECTIV ja auch. Vielen Dank für das Gespräch!  

Kimberly Nicolaus: Vielen Dank!

Artikelbild: Chris J. Davis via unsplash.com