Wenn wir uns sicher und souverän im Netz bewegen wollen, dann ist etwas Medienkompetenz sicher nicht verkehrt. Aber was steckt eigentlich hinter diesem Begriff? Was bedeutet digitale Selbstverteidigung und welche Tools sollten wir alle auf dem Kasten haben?

Darüber haben wir im DiFü-Podcast „D wie Digital“ mit Stephanie Rack gesprochen. Sie ist Lehrerin, Medienpädagogin und Referentin bei der EU-Initiative klicksafe. Lesen Sie hier eine gekürzte Fassung des Gesprächs.

DiFü News: Sie vermitteln Online- und Medienkompetenz. Wenn man nach diesen Begriffen sucht, trifft man oft auch auf den Begriff der digitalen Selbstverteidigung. Gegen wen muss ich mich im Netz verteidigen?

Stefanie Rack: Verteidigen ist natürlich ein harter Begriff. Wenn wir in dem Bild bleiben wollen, würde ich lieber fragen: Was muss ich eigentlich verteidigen? Da fallen mir etwa die eigene Privatsphäre oder meine Daten ein. Und natürlich auch die Demokratie, in Zeiten von Hate Speech, Fake News und Desinformation.

Lehrerin und Medienpädagogin Stefanie Rack. Bild: Maria Hansen

Stefanie Rack von klicksafe.de

Privatsphäre, Datenschutz, Fake News – das klingt so, als müssten wir an vielen Fronten gleichzeitig kämpfen. Wer hat es denn auf uns abgesehen? Kommerzielle Anbieter, sogenannte Datenkraken, Kriminelle?

 

Wenn es um sensible Daten wie Kontodaten geht, dann sind das schon Kriminelle. Wir wissen aber auch, dass die populären, großen Netzwerke mit unseren Daten Geld verdienen. Unsere Daten sind sozusagen die Beigabe, um die Netzwerke nutzen zu können. Wenn ich heute Dienste wie Instagram, WhatsApp oder Twitter nutzen will, gebe ich mein stilles Einverständnis, dass meine Nutzer:innendaten dort verwendet werden. Und wir geben viele sensible Daten preis. Wir schreiben jeden Tag, wie es uns geht, wo wir sind, was wir gekauft haben …

 

Wie nehmen Sie in Ihrer Rolle als Medienpädagogin den Wissensstand in der Bevölkerung zum Thema Datenschutz wahr? Wissen die Menschen, wie sie ihre Privatsphäre und ihre Daten verteidigen können?

 

Die Daten zu verteidigen, das ist ein sehr hoher Anspruch. Ich glaube, das schaffen wir alle nicht, wenn wir am Online-Austausch teilnehmen wollen. Selbstdarstellung ist ein ganz großes Thema, auch bei Jugendlichen. Wenn ich nicht Bilder von mir poste, wenn ich keine Videos poste, wenn ich nichts von mir preisgebe, dann bin ich online nicht wirklich existent. Dazu habe ich viele Gespräche mit Jugendlichen, aber Erwachsenen geht es auch so!

Wir brauchen also Medienkompetenz. Dazu gehört auch, dass man die eigenen Rechte und Pflichten kennt …

Die kennen viele meiner Meinung nach noch nicht genug. Viele Menschen wissen zum Beispiel gar nicht vom Recht am eigenen Bild. Und beim Thema Pflichten sehen wir zum Beispiel ganz oft Urheberrechtsverletzungen, also dass Werke von anderen ohne Erlaubnis verbreitet oder verfremdet werden. Jugendliche wissen häufig auch nicht, dass sie verbotene und strafbare Inhalte teilen, zum Beispiel im Klassen-Chat.

Die EU Initiative klicksafe, bei der Sie als Referentin arbeiten, richtet sich mit Ihrem Angebot vor allem an Kinder und junge Menschen. In welchem Alter geht aus Ihrer Sicht Medienerziehung los?

Sinnvollerweise schon sehr früh in der Familie. Erziehungsregeln und Medienregeln vermischen sich ja heute, weil Medien ein ganz natürlicher Bestandteil von Familie sind. Sinnvoll sind Regeln wie etwa Medienzeiten. Wir bieten in Kooperation mit dem Portal „Internet ABC“ den Mediennutzungsvertrag an. Das ist ein Online-Angebot, wo man gemeinsam in der Familie Medienregeln festlegen kann. Den Vertrag kann man dann ausdrucken und beispielsweise an den Kühlschrank hängen. Das ist dann eine gemeinsame Basis für alle Familienmitglieder.

Der Mediennutzungsvertrag

Mithilfe des Mediennutzungsvertrags können Eltern mit ihren Kindern verbindliche gemeinsame Regeln festlegen: Welche Medien und welche Inhalte dürfen wann und wie lange genutzt werden? Es gibt zahlreiche altersgerechte Vorlagen, die Bedingungen können dem Alter der Kinder angepasst werden. Wichtig: Der Vertrag enthält auch Regeln für Eltern. Hier geht’s zum Download: Mediennutzungsvertrag.de

Früh anfangen mit der Medienerziehung – das bedeutet aber wahrscheinlich nicht, dass ich meinem Kind einfach ein Smartphone in die Hand drücke und es damit machen lasse, was es will …

 

Nein. Das ist ja leider oft die Praxis, dass die Kinder heute vorm Smartphone geparkt werden statt vor dem Fernseher. Das führt zu ganz anderen Problemen: Der Fernseher war nicht interaktiv, man war nur Konsument. Mit Smartphones kann man auch selbst aktiv werden, da kommen Kontaktrisiken mit ins Spiel. Wenn man heute schon Grundschülern WhatsApp erlaubt, hat man ganz andere Probleme als beispielsweise ein Kind, das zwei Stunden lang Fernsehen guckt.

Sollte man Kindern im Grundschulalter denn überhaupt schon ein Smartphone erlauben?

Man sollte sich das sehr, sehr gut überlegen. Wenn das Kind schon in der zweiten Klasse danach fragt, dann kann man sagen: Du bist noch nicht alt genug, du bekommst beim Übergang in die höhere Schule ein Smartphone, aber wir arbeiten gemeinsam darauf hin. Man kann Ausblicke geben und muss nicht sofort alle Wünsche erfüllen, denn ein eigenes Smartphone setzt voraus, dass ein Kind auch damit umgehen kann.

Also ist der Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schule ein guter Zeitpunkt?

Das empfehlen wir bei klicksafe so. Das ist ein Alter, in dem Kinder langsam eine Folgenabschätzung ihres Handelns vornehmen können und in dem man ihnen erklären kann, was verschiedene Dienste für Möglichkeiten und Risiken bieten, ohne sie zu erschrecken. Also ab Klasse 5 oder ab dem Alter von zehn Jahren ist ein eigenes Smartphone in Ordnung, aber erst einmal eher kontrolliert. Das bedeutet: Nicht einfach alle Apps erlauben, sondern auch besprechen, wann und warum welche App schon erlaubt ist. Und dann die Kinder langsam in die Selbstständigkeit und Selbstverantwortung entlassen.

Wie bleiben wir als Erwachsene auf dem Laufenden, wenn wir wissen wollen, welche Apps im Trend sind und was unsere Kinder machen? Müssen wir uns überall auch selbst anmelden und die Apps herunterladen?

Tatsächlich wäre das am besten – auch wenn es manchmal weh tut. Ich bin immer noch kein Fan von TikTok, ich kriege nach kürzester Zeit Kopfschmerzen, aber ich muss mich da auch tummeln und gucken: Was ist da los? Was sind die Hypes? Welche Themen sind gerade weit vorne? Wo wird es problematisch im Bereich Entwicklungsbeeinträchtigung, oder sogar jugendgefährdend? Das empfehle ich Eltern auch. Wenn die Kinder eine App haben wollen, sollte man die zusammen installieren, richtig durchschauen und auch mal in die Einstellungen gehen. Wo kann ich zum Beispiel jemanden melden? Wo kann ich jemanden blockieren im Fall von Mobbing? Dabei darf man sich auch mal blöd anstellen und etwa fragen, wie man selbst einen Kontakt blockieren kann. So findet man heraus, wie der Wissensstand der Kinder ist.

Funktioniert Medienerziehung in beide Richtungen? Können Eltern auch von ihren Kindern was lernen?

Ja, das sagt man gerne, dass Kinder die Experten sind und Eltern ein bisschen hinterherhängen. Ich sehe das nicht so. Eltern sind nun mal älter und haben mehr Lebenserfahrung. Deshalb müssen die eine gute Grundlage schaffen, damit die Kinder auch mit negativen Erfahrungen umgehen lernen, also etwa Mobbing, Grooming oder verstörende Inhalte.

Wo lauern die größten Gefahren für Kinder und junge Menschen im Netz?

In Social Media haben wir den problematischen Bereich der Selbstdarstellung, oder die Weitergabe von privaten, intimen Bildern, also Rechtsverletzungen im Bereich der Privatsphäre. Wir haben Mobbing, wir haben vermehrt Grooming, also Kontaktanbahnung von Erwachsenen gegenüber Kindern in sozialen Netzwerken. Magersucht und Essstörungen werden verherrlicht. Im Bereich Gaming sagen viele Kinder, dass sie zu viel Geld ausgeben, also durch In-App-Käufe. Da muss man eine starke Selbstdisziplin an den Tag legen und am besten vorher ein Budget vereinbaren. Wenn man Zugang zur Kreditkarte hat, ist da schnell ein großer Posten weg.

Haben wir in Deutschland gute Bildungs- und Informationsangebote im Bereich Medienkompetenz?

Die Initiative klicksafe

Klicksafe will laut Eigenbeschreibung die Online-Kompetenz der Menschen fördern und sie beim kompetenten und kritischen Umgang mit dem Internet unterstützen: „klicksafe bündelt und entwickelt relevante Informationen und Angebote zu einer sicheren, kompetenten und selbstbestimmten Internetnutzung. Wir richten uns dabei insbesondere an Menschen, die Kinder und Jugendliche dabei unterstützen, ihre Internetkompetenzen auszubauen – von Eltern über Lehrkräfte bis hin zu Multiplikator*innen – aber auch an alle, die sich selbst fit machen wollen. So erhalten Nutzer*innen einen Überblick über aktuelle Online-Themen sowie konkrete Tipps für den digitalen Alltag.“ (www.klicksafe.de)

Der Bereich Medienkompetenz wird eher überall wieder heruntergefahren, auch in der Ausbildung. Man kann es kaum noch studieren, dabei ist das eine Querschnittsaufgabe. Die Kultusminister:innenkonferenz (KMK) empfiehlt, Medienkompetenz in verschiedenen Fächern anzudocken. Ich bin selbst Lehrerin und ich weiß, wie es ist, wenn sich keiner verantwortlich fühlt – dann macht es am Ende niemand. Ein einstündiges Fach Medienkompetenz hätte ich sehr sinnvoll gefunden. Weil wir das nicht haben, kann ich nur dafür plädieren, Medienkompetenz als wichtiges Beiwerk zur Erziehung zu sehen.

 

Sollten Erwachsene auch in Medienkompetenz unterrichtet werden?

 

Ja. Der Mist in den sozialen Netzwerken kommt ja oft von Erwachsenen, die keine Ahnung von Respekt und Netiquette haben oder die Anonymität des Internets nutzen, um Hate Speech zu verbreiten und Menschenrechte zu missachten. Erwachsene müssen Vorbilder für Kinder und Jugendliche sein.

Was gehört aus Ihrer Sicht bei der Medienkompetenz auf jeden Fall dazu? Was sollten wir alle drauf haben?

Dazu gehört, dass man Bescheid weiß, sich mit Dingen auseinandersetzt und nicht einfach alles konsumiert oder nutzt, weil es alle tun. Man sollte sich fragen: Brauche ich die neue App wirklich? Was bringt mir das? Man sollte auf sein Bauchgefühl hören. Und man sollte Digitalcourage zeigen: Wenn ich sehe, dass jemand im Netz gemobbt oder rassistisch beleidigt wird, den Aggressor melden und das Opfer unterstützen, etwa durch Likes oder Kommentare.

Und im Bereich Datenschutz?

Das ist ein sehr breites Feld. Das fängt schon beim sicheren Passwort und bei der Zwei-Faktor-Authentisierung an, und dann wird es schnell komplizierter, etwa bei Anonymisierung oder der Nutzung von Passwort-Tresoren.

Ist es dann sinnvoll, einfach zu Datensparsamkeit als Fundament zu raten. Das umfasst ja im Grunde viele Punkte …

Ja klar. Als Grundregel gilt natürlich: So wenig Daten wie möglich, so viele wie nötig. Und so natürlich die Nutzung streuen, also nicht immer den gleichen Anbieter mit Daten füttern. Das kann bedeuten, dass ich beispielsweise nicht Google als Suchmaschine nutze, sondern einen Dienst wie Start Page, oder dass ich beispielsweise Signal statt WhatsApp nutze. Ich sage nicht, dass man von den großen Playern gar nichts nutzen sollte. Aber wir sollten immer auch schauen, ob es vielleicht ein anderes Angebot gibt, das mir die Funktionen bietet, die ich brauche. Und dann kann ich vielleicht auch meinen Freundes- und Familienkreis davon überzeugen, mit mir zusammen umzuziehen.

Mit Stefanie Rack sprach Johannes Wallat.