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„Der Vogel ist befreit“, twitterte Elon Musk Ende Oktober 2022, als er nach längerem Hin und Her CEO des Mikroblogging-Dienstes Twitter wurde. „Befreit“ wurden seitdem aber vor allem Mitarbeiter:innen: Von ehemals knapp 8.000 schrumpfte die Belegschaft auf mittlerweile rund 1.500, wie Musk in einem BBC-Interview preisgab. Für Nutzer:innen von Twitter? Bedeutete das in der Folge zahlreiche Fehlfunktionen und Ausfälle – das nötige Wartungspersonal war nicht mehr vorhanden. Deswegen machten sich viele von ihnen auf die Suche nach einer Twitter-Alternative.
Für Stirnrunzeln sorgte auch Musks Umgang mit der Meinungsfreiheit. Für ihn scheint sie auch für extreme Meinungen, zum Teil auch für Hass und Hetze zu gelten. Meinungsfreiheit bei Twitter wiederherzustellen, war eigenen Angaben zufolge der Hauptgrund für die Übernahme. Seither sind viele geblockte Konten wieder einsehbar – unter anderem das von Donald Trump.
Schon vor Musk hatte die Plattform deutliche Probleme mit Fake News; mehrere Untersuchungen ergaben, dass falsche Informationen sich schneller verbreiten würden als echte. Durch die weiter zurückgefahrene Content-Moderation (das Einstufen von Inhalten als zum Beispiel Falschinformation, Hetze oder Hassrede) ist nicht nur der Anteil von menschenrechtsverachtenden oder rassistischen Beiträgen stark angewachsen.
Den „Vogel“ abgeschossen hat der exzentrische Milliardär wohl mit der Häkchen-Debatte. Ursprünglich kennzeichneten blaue Häkchen hinter dem Nutzernamen verifizierte Accounts, zum Beispiel von Firmen, Organisationen oder Personen des öffentlichen Lebens. Nun wurden alle ursprünglichen Haken entfernt. Diese können Privatpersonen oder Unternehmen stattdessen kaufen. Der Haken an diesen Haken: Eine Überprüfung findet nicht mehr statt, Nutzer:innen können nicht immer sofort erkennen, ob hinter dem Haken ein Fake-Account steckt. Nur Behörden, Ministerien und politische Akteure haben einen grauen Haken, den es nicht zu kaufen gibt.
Seit den Tumulten rund um Twitter sticht vor allem Mastodon als alternativer Mitbewerber hervor. 2016 gründete der deutschen Software-Entwickler Eugen Rochko den Dienst mit dem Mammut-Logo. Der Hauptunterschied zu Twitter besteht in seiner Konzeption als dezentrales Netzwerk. Das bedeutet, dass keine zentrale Plattform von Nutzer:innen angesteuert wird, sondern dass Personen, Organisationen und Akteure sich auf eigenständigen Servern miteinander vernetzen können.
Dabei erstellt jeder Server eigene Regeln und Vorschriften, die nur lokal, pro Server durchgesetzt werden – und nicht von oben herab. Das soll Mastodon anpassungsfähiger für verschiedene Gruppen von Menschen machen.
Darüber hinaus spricht für die Twitter-Alternative, dass im sogenannten Home-Feed von Mastodon kein Algorithmus ausgespielt oder Werbung angezeigt werden soll. Stattdessen werden Beiträge anderer Nutzer:innen, denen man folgt, in chronologischer Reihenfolge aufgelistet.
Während bei Twitter 280 Zeichen pro Tweet möglich sind, hat man bei Mastodon 500 für einen Toot (deutsch Tröt) zur Verfügung. Retweeten, das Weiterleiten von Inhalten, heißt hier boosten. Seit 2022 ist Mastodon für die beliebtesten mobilen Betriebssystem iOS und Android Apps verfügbar.
Bei den Nutzer:innenzahlen liegt Twitter (237 Millionen monatlich aktive Konten im Jahr 2022) weiterhin klar vor Mastodon (11,2 Millionen Konten im April 2023). Trotzdem sorgen immer wieder Unternehmen und Behörden, die aus datenschutzrechtlichen Gründen zu Mastodon wechseln, für Aufsehen.
Aktuell kämpft Mastodon dennoch mit zwei für die Plattform ungewohnten Situationen. Zum einen fällt es der Twitter-Alternative schwer, neue Nutzer:innen auch zu halten. Viele, die zu Mastodon wechselten (allein 500.000 in den Tagen nach dem finalen Twitter-Kauf von Musk), empfinden die Bedienung als zu kompliziert.
Dass Twitter deutlich einfacher sei, bestätigt auch die Social-Media-Strategin Meg Coffey: „Du kannst eine App oder eine Website öffnen, ein paar Wörter schreiben und das war’s. Es war im Grunde eine einfache SMS-Plattform.“
Im vergangenen November öffneten täglich 130.000 Personen ein Mastodon-Konto – trotz dieses Erfolgs verpasste die Twitter-Alternative es, wirklich durchzustarten.
Trotz allem wurde Mastodon beliebter – und der Ton auf der Plattform rauer. Zwar verlaufen Diskussionen nach wie vor gesitteter als bei Twitter, aber durch das dezentrale Prinzip können genauso unerwünschte Kanäle geöffnet werden – Hass und Fake News sind in der jetzigen Form nicht auszuschließen. „Die Algorithmen von kommerziellen Plattformen wie TikTok oder Twitter sind für Engagement und Unterhaltung optimiert. Das verzerrt die öffentliche Kommunikation“, erklärte der Medienforscher Matthias Kettemann vom Hans‐Bredow‐Institut dem ZDF. „Um das demokratische Potenzial von Mastodon als Raum für die demokratische Debatte zu erfüllen, ist Koordination erforderlich.“ Kettemann empfiehlt eine Art Parlament für alle Mastodon-Instanzen, um die Ausrichtung der Plattform und Moderations-Standards festzuhalten.
Sollten diese beiden Herausforderungen gemeistert werden, könnte Mastodon ein steiler Aufstieg bevorstehen. Ansonsten sieht Meg Coffey wenig Chancen, im großen Stil unzufriedene Twitter-Nutzer:innen rüberzuziehen: „Das ist wie bei den Leuten, die sagten: ‚Ich ziehe nach Kanada‘, als Donald Trump gewählt wurde. Sie sind aber nie wirklich nach Kanada gezogen.“
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