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Temu ist ein Online-Marktplatz, der über die Website oder die App aufgerufen werden kann. Betrieben wird er von der chinesischen beziehungsweise mittlerweile multinationalen E-Commerce-Firma PDD Holdings, die ihren Sitz in Boston hat und zu der auch die ähnlich gelagerte Plattform Pinduoduo gehört. Für den Handel im deutschsprachigen Raum ist die Whaleco Technology Limited mit Sitz in Irland zuständig.
Die Seite wirbt mit „Qualitätsprodukten von Verkäufern, Herstellern und Marken aus aller Welt“, obwohl dort mehrheitlich chinesische Anbieter ihre Produkte veräußern. Der Versand ist „für fast alle Bestellungen kostenlos“. Temu steht in einer Reihe mit Angeboten wie Alibaba, JD.com oder Wish.
Damenschuhe, Musikinstrumente oder Elektronikzubehör: Die angebotene Produktpalette deckt fast alle Lebensbereiche ab. Nach eigenen Angaben nutzt Temu „ein Netzwerk von Lieferanten, Logistikdienstleistern und Fulfillment-Partnern, um Produkte von Verkäufern, Herstellern und Marken auf der ganzen Welt zu kuratieren und diese zu erstaunlichen Preisen“ weiterzugeben. Durch den direkten Vertrieb der Anbieter ohne Zwischenhändler und Warenlager im Zielland werden massiv Kosten eingespart. Mit der Niedrigpreisstrategie sollen dann möglichst große Nutzerzahlen erreicht werden, die das Geschäftsmodell wieder lukrativ werden lassen. Zudem profitiert Temu aufgrund der geringen Artikel-Preise oft von der Zollfreiheit, die erst bei Sachwerten ab 150 Euro greift.
Im September 2022 ging die Plattform zunächst in den USA an den Start, seit dem Frühjahr 2023 ist der Online-Marktplatz unter anderem auch in Kanada, Australien, Deutschland, Italien, Frankreich, Spanien, Großbritannien und den Niederlanden verfügbar. Die Markteinführung wurde jeweils von einer groß angelegten Werbekampagne begleitet. Im Februar 2023 schaltete Temu zum Beispiel einen Clip beim Super Bowl – dem Finale der US-amerikanischen NFL und eines der weltweit größten Medienereignisse, bei dem ein Werbeplatz mit 30 Sekunden Länge durchschnittlich sieben Millionen US-Dollar kostet.
https://www.youtube.com/watch?v=RgNuwb9lpeg
Dementsprechend ungewöhnlich war es, dass ein chinesischer Anbieter davon Gebrauch macht. Der Erfolg dürfte dem Unternehmen aber Recht geben: Temu war sowohl in den USA als auch beispielsweise in Belgien, Portugal und Schweden bereits kurz nach Veröffentlichung die am häufigsten heruntergeladene App im Google Play Store.
Hierzulande fällt Temu vor allem durch eine starke Anzeigen-Präsenz in sozialen Netzwerken auf. Der Claim bleibt international stets der gleiche: „Shoppe wie ein Milliardär!“ Er richtet sich damit gezielt an Personen mit einem niedrigeren Einkommen, die sich auch einmal „reich fühlen“ wollen, darunter vor allem junge Erwachsene. Ins Bild passen dazu Kooperationen und Partnerschaften mit Influencern.
Auf YouTube findet sich unter anderem ein Video mit dem Titel „I built my sister’s DREAM DEN with only TEMU products“ (Ich habe meiner Schwester eine Traumhöhle ausschließlich mit Produkten von Temu gebaut). Auf TikTok veröffentlichte die deutschsprachige Influencerin Yasmin Schmidt ein Video mit ihrer „ehrlichen Meinung“ zur Plattform, nur um dann äußerst unkritisch die Vorzüge anzupreisen. Die wenigsten Nutzer:innen werden dabei auf das Label „bezahlte Partnerschaft“ achten.
Nach außen gibt sich das Unternehmen umwelt- und sozialbewusst und rühmt sich beispielsweise damit über die Organisation „Trees for the Future“ 491.926 Bäume gepflanzt zu haben (Stand September 2023). Dennoch werden in der Hinsicht immer wieder Zweifel am Geschäftsgebaren laut.
Aus Sicht von Verbraucherschützer:innen ist eine ganze Reihe an Punkten bei Temu bedenklich:
Problematisch an der Stelle: Man schließt keinen Vertrag mit der Plattform, sondern mit dem jeweiligen Produkt-Anbieter – über den konkrete Informationen nicht immer zugänglich sind. Im Schadensfall droht eine schwierige Rechtsdurchsetzung, warnt auch Watchlist Internet. Auch das innerhalb der EU geltende 14-tägige Widerrufsrecht bei Online-Käufen wird missachtet. Die US-Regierung hat Temu 2022 auf die „notorious markets list“ gestellt. Dort werden Unternehmen aufgeführt, die Markenfälschungen und Produktpiraterie selbst begehen oder begünstigen.
Die Verbraucherzentrale moniert die fehlende Datensparsamkeit der App. Tatsächlich werden Zugriffsberechtigungen auf dem Smartphone oder Tablet eingefordert, die für den eigentlichen Bestellprozess nicht nötig wären. Auch ignoriert die Plattform „Do not Track“-Aufforderungen, die man über den Browser einstellen kann.
Des Weiteren heißt es zu „Cookies und ähnlichen Technologien“ in den Datenschutzrichtlinien: „Wir können nicht garantieren, dass die Unternehmen, mit denen wir zusammenarbeiten, an den oben beschriebenen Abmeldung-Programm teilnehmen.“ Dass Daten mit Dritten geteilt und verarbeitet werden, ist somit ein elementarer Part in Temus Geschäftsmodell.
Neben dem erfolgreichen Marketing und den damit verbundenen Werbeversprechen ist auch der Aufbau und das Design von Website und App stark darauf ausgelegt, ein bestimmtes Nutzerverhalten zu erzeugen. Beim sogenannten Nudging beziehungsweise in dem Fall Digital Nudging (engl. für „Anstoßen“ oder „Schubs“) möchte man durch eine Beeinflussung der Entscheidungsarchitektur ein bestimmtes Verhalten kreieren. Im Supermarkt betrifft das beispielsweise die Frage, welche Produkte wo in den Regalen platziert werden, da dies Auswirkungen auf das Kaufverhalten hat.
Bei Temu sind die Nudges hingegen Countdowns, die die Gültigkeitsdauer von bestimmten Angeboten unterstreichen, „fast ausverkauft“-Hinweise, Einblendungen anderer Nutzer:innen, die gerade etwas gekauft haben oder gestalterisch hervorgehobene Preisreduzierungen und Rabatte. Hinzu kommen Methoden aus dem Bereich Gamification, bei dem spieltypische Elemente in einen spielfremden Kontext eingebaut werden. Temu-Nutzer:innen können so an einem Glücksrad Gutscheine erspielen und durch das Einlösen dieser wiederum andere aktivieren oder freischalten.
Zudem gibt es einen Guthaben-Bereich, der durch bestimmte Käufe aufgeladen wird. Die als „Einnahmen“ deklarierten Cent-Beträge triggern den Reiz, weiter zu shoppen, genauso wie „geheimnisvolle Geschenkboxen“, die letztlich ebenfalls Gutscheine enthalten. Mit zahllosen Push-Benachrichtigungen und Mails sollen Nutzer:innen schließlich immer wieder zum Angebot gelotst werden.
Temu ist ein Internet-Phänomen, das mit seiner Ansprache und Aufmachung offensichtlich einen Nerv trifft. Nichtsdestotrotz raten zahlreiche Behörden und Verbraucherschutzplattformen davon ab, dort Waren zu kaufen – aus ethisch-moralischen Gründen (Uiguren in Zwangsarbeit erstellen wahrscheinlich Konsumgüter), wegen fehlender Nachhaltigkeit und den Auswirkungen auf die Umwelt sowie schwerwiegenden datenschutz- und verbraucherrechtlichen Aspekten.
Artikelbild: Harry Cunningham via unsplash.com
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